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Was ist uns Kreativität noch wert?

Lorenz Schmidt
7. Juni 2023
5 Min

In der Kommunikations- und Kreativbranche, in der ich arbeite, wagen wir Neues, loten Grenzen aus und sind offen für neue Wege der Kommunikation. Dazu braucht es Perspektivwechsel – etwa durch die Six Thinking Hats-Methode, den Austausch mit Kolleg*innen und Partnernetzwerken, über Inspiration auf Veranstaltungen oder auch beim Besuch im Kunstmuseum. All das, um möglichst kreativ arbeiten zu können bzw. kreative Dienstleistungen zu erzeugen. Doch was bedeutet die neue Ära der KI-gestützten Werkzeuge für die Kreativität? FYI: Dieser Text wurde nicht von ChatGPT erstellt. ;)

KI kann sicherlich als hilfreiches Werkzeug für die Kreativbranche gesehen werden. Generative KI wie ChatGPT oder DALL-E können dazu beitragen, Arbeitsprozesse zu optimieren und Zeit zu sparen. Doch wo führt diese Reise hin? Bereits jetzt gibt es politische Reden, die durch KI geschrieben werden oder ganze Animationen, bei der von der Story, über das Bewegtbild, bis hin zum Sprecher alles durch die KI entwickelt worden ist. Das bringt mich zu der Frage: Was ist uns Kreativität noch wert? Brauchen wir noch die „Kreativen“? Braucht es noch die Agentur?

KI schafft eine neue Wegwerfgesellschaft

Anders formuliert – welchen Wert wollen wir Kommunikation heute noch geben? In meinen Augen laufen wir Gefahr, in eine weitere Wegwerfgesellschaft abzudriften. Nicht das physische Wegwerfen, was heute zu Recht nicht mehr opportun ist, sondern das Wegwerfen von Kommunikation, die generisch und noch massenhafter in Sekundenschnelle erzeugt ist. Wir begehen die gleichen Fehler erneut. Diesmal handelt es sich bloß um digitales Wegwerfen. Die Vielzahl an (Werbe-)Botschaften überfordern uns bereits heute. Viele Menschen können sich nur für kurze Zeit konzentrieren und haben keine Muße oder Kapazität, um komplexere Zusammenhänge zu durchdringen und relevante Informationen abzuleiten. Meine Sorge: KI wird diesen Trend nicht nur befeuern, sondern stark beschleunigen. Das Gefühl etwas zu verpassen, etwas nicht kommunikativ mitbekommen zu haben, wird sich verstärken. Digital (De)-Tox bekommt dann eine ganz neue Bedeutung.  

Wie dem entgegenzuwirken ist? Ich bin überzeugt, wie so oft liegt die Lösung darin, das richtige Maß zu finden. Das passende Maß zwischen Mensch und Maschine zu definieren.

Die Grenzen der KI

KI kann heute die leisen Töne der Kommunikation, das Zwischenmenschliche oder Humor nicht verstehen. Zusammenhänge oder Bewertungen sind nicht möglich. Elemente, die in der Kommunikation wichtig sind. KI wird auch nie eine Organisation in Gänze verstehen. Denn Organisationen bestehen aus Menschen, deren vielschichtigen Interaktionen viel zu komplex sind bzw. von subjektiver Wahrnehmung der Einzelnen abhängt. Nur Menschen können Menschen in ihrer Tiefe verstehen. Womit wir wieder bei der Frage sind, ob es noch Agenturen braucht. Ja, klar. Denn nur Menschen haben dieses Feingefühl und Bewusstsein, um sinnvolle, strategische Kreativentscheidungen im gemeinsamen Austausch treffen zu können.

Auch wenn der Eindruck täuschen mag, ich bin ein Fan von Künstlicher Intelligenz. KI ist nicht das Ende der Kreativität. KI verändert Kreativität. Sie ermöglicht meinen Kolleg*innen im Design Bilder zu generieren, die ansonsten nur im Kopf und nie auf der (digitalen) Leinwand sichtbar geworden wären. Sie ermöglicht, Texte schneller zu er- und zu verfassen. Sie hilft, indem sie standardisierte Abläufe übernimmt und uns damit Freiräume für Kreativität schafft. Dank dieser Freiräume haben wir als Kund*innen und Agentur gemeinsam mehr Zeit, uns auf strategischer Ebene mit den Herausforderungen und Lösungen zu beschäftigen. Denn am Ende sind es ohnehin immer wir, die die Entscheidungen treffen. Oder seht ihr das anders?

Anlass dieses Artikels war ein Beitrag auf 3sat, den ich in dem Zusammenhang gern empfehlen kann: https://www.3sat.de/kultur/kulturdoku/kollegin-ki-uebernimmt-102.html