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Sagt ein Wort mehr als 1000 Bilder? Warum der richtige Ausdruck zählt.

Dennis Buchmann
14. November 2023
8 Min.

Ein fieses Zitat vom Schriftsteller Ernst Alexander Rauter: „Viele Kollegen machen sich vor, dass man zwar ein halbes Jahr lernen muss, um ein Schwein zu zerlegen, oder drei Jahre, um einen Anzug nähen zu können, dass aber jeder schreiben kann, sobald er etwas erregt ist.“ Will sagen: Gute Schreibe will gelernt sein. Wie wichtig das richtige Wort ist, zeigt ein Ausflug in Hirnforschung.

Die Wirkung von Kommunikation auf neuronaler Ebene dingfest zu machen, ist schwierig. Grund ist wohl das, was Stephen Hawking als die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts benannte: Komplexität. Sie ist schuld, dass sich sich keine Kausalketten schmieden lassen wie: "Dieses Wort führt in jenem Kontext bei dieser Person dazu". Das wäre ja auch deterministich-langweilig. Und würde unseren Jobs in der Kommunikationsbranche die kreative Spannung nehmen, die sich aus dieser schönen Mischung aus Erfahrung und Mut zu Neuem ergibt.

Vermuten lässt sich mit Blick auf Content, Storytelling und Kampagnen aber so einiges, wenn man sich den aktuellen Stand der Neurobiologie und -physiologie sowie der kognitiven Neurowissenschaften und der Psychologie anguckt. Forscher*innen rücken Phänomenen wie Bewusstsein und subjektiver Wahrnehmung weiter auf die Pelle.

Die Superkraft menschlicher Sprache

Einen besonders beeindruckenden Erklärungsversuch hat zuletzt Mark Solms gemacht – mit seinem Buch „The Hidden Spring. Warum wir sind, was wir fühlen“. Darin geht es um die Frage, wo und wie vor allem im menschlichen Gehirn Bewusstsein entsteht. Auf Seite 214 der deutschen Ausgabe geht es speziell um das Denken mit Wörtern, also um Sprache, "das unverwechselbare Charakteristikum der menschlichen Kognition".

Hier also der Versuch, aus der Bewusstseinsforschung heraus Rückschlüsse auf die Wirkung eines speziellen Aspektes von Kommunikation zu ziehen. Es geht dabei um die Superkraft der menschlichen Sprache: die Abstraktionsfähigkeit.

Foto: pexels

Als Redakteur empfehle ich: Schreibe konkret, meide das Abstrakte. Weil Abstraktionen anstrengend sind. Was sie wahrscheinlich sind, weil sie einen größeren Informationsgehalt haben und die Verarbeitung aufwändiger ist. Worum es hier jedenfalls geht: Abstraktes lässt sich besser (oder nur?) mit Wörtern beschreiben als mit Abbildungen visualisieren. Das Brot lässt sich gut abbilden. Aber Kultur? Die wirkt vor allem über das Wort. Kultur hat in ihrer Komplexität zwar eine größere Unschärfe als das Brot, aber auch eine größere neuronale Reichweite.

Wörter als Booster semantischer Kategorien

Um diesen Thesen mehr Substanz zu verleihen, fasse ich ein Wahrnehmungsexperiment zusammen, das Solms zitiert. Bei der "Continuous Flash Suppression" zeigt man einem Auge von Probanden das Bild eines ihnen bekannten Objektes – etwa das eines Hundes – und unterdrückt die bewusste Wahrnehmung des Bildes, indem dem anderen Auge Kritzeleien oder anderes visuelles Rauschen gezeigt werden. Interessant: Probanden melden vermehrt die Wahrnehmung des Hundebildes, wenn sie das Wort "Hund" gehört haben. Sogar häufiger, als wenn sie Hundegebell hören. "Die Abstraktion hat eine höhere Reichweite".

Als Redakteur lese ich es natürlich gern, wenn Solms weiter schreibt: "Wörter haben die Kraft, ganze semantische Kategorien zu boosten". Und: "Sprache dient als Top-Down-Verstärker der Wahrnehmung und treibt ein andernfalls unsichtbares Bild ins Bewusstsein, wenn Information, die mit verbalen Kennzeichnungen assoziiert ist, eingehender (Bottom-up-)Aktivität entspricht."

Die harte Arbeit der inneren Weiterverarbeitung

Frei übertragen auf Text-Bild-Kommunikation würde das bedeuten: Wenn sich beispielsweise für eine Kampagne Motiv und Worte zu einer gemeinsamen Idee ergänzen, ist die Wirkung am größten. Text-Bild-Emergenz, könnte man meinen. Das ist nichts neues. Aber ähnlich wie Hirnforschung zum Thema Aufmerksamkeit untermauert, dass neue, relevante Informationen und kreative Darstellungsformen zu wirkungsvollerem Content führen, zeigen die von Solms beschriebenen neuronalen Zusammenhänge, wie Sprache unsere Wahrnehmung stärkt.

Wahrscheinlich lassen sich komplexe Informationen und Zusammenhänge schneller über Abbildungen erfassen. Die harte Arbeit der inneren Weiterverarbeitung und des Verstehens funktioniert dann aber nur mittels der Sprache. Unser inneres Sprechen, also Denken, dient schließlich der Kennzeichnung und Kategorisierung von Information.

Was das für unsere Arbeit als Kommunikationsberatung bedeutet? Dass es das richtige Wort sein muss. Dass guter Text es wert ist. Ich hatte bereits über mein Experiment mit Chat GPT geschrieben: Der Algorithmus berechnet Sprache aus Wahrscheinlichkeiten und kann keine Bedeutung wahrnehmen. (Den Unterschied zwischen Intelligenz und Wahrnehmung beschreibt Solms in seinem Buch übrigens auch sehr gut.) Deshalb sind GPT-Texte so dünn. Unterm Strich denke ich: Für gute Texte sollte man gute Leute engagieren. Schreiben Sie uns ;)

PS: Danke, dass ihr mir dieses tolle Buch geschenkt habt, liebes Team von mc-quadrat!