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Blick ins Hirn: Die Aufmerksamkeit als Spotlight unserer Wahrnehmung

Dennis Buchmann
4. Mai 2023
4 Min

Ob schreiende Kinder, röhrende Hirsche, werbetreibende Unternehmen oder ich mit diesem Text: Alle buhlen um Aufmerksamkeit. Sie ist die Tür, die aufgehen muss, damit wir mit unserer Botschaft kommunikativ beim Gegenüber überhaupt wahrgenommen werden. Doch wie funktioniert das eigentlich? Was kann ich tun, um fremde Synapsen zu stimulieren? Eine neurologische Betrachtung.

Die Sache mit dem Hirn ist die: Es geht so unglaublich komplex da oben zu, dass sich kaum einfache Antworten formulieren lassen. Monokausale Zusammenhänge nach dem Motto „If this, than that“ können vielleicht noch auf molekularer Ebene getroffen werden. Erreicht etwa ein Impuls eine Nervenzelle, der den Schwellenwert von 20 mV überschreitet, so feuert sie. So einfach ist das.

Was hingegen in Ihrem Kopf passiert, während Sie diesen Text lesen, ist unbeschreiblich. Das hängt mit der enormen Vernetzung unserer Nervenzellen zusammen – mehr Verbindungen als es Atome im Universum gibt, munkelt man. Trotzdem, und das mag daran liegen, dass ich einst Biologie studierte, frage ich mich seit Jahren, was eigentlich kausal abgeht, wenn ich meinen Job mache. Wenn ich konzipiere, texte, Ideen entwickele und mich dafür mit Argumenten einsetze.

Diese Argumente haben durchaus ihre fachliche Berechtigung, und sie beruhen auf langjähriger Erfahrung – ich bin davon überzeugt, dass es objektiv richtig ist, Texten bestimmte Strukturen zu geben, damit sie bei Leser*innen wirken können. Ich erzähle den Leuten, wie Storytelling funktioniert, was gute von schlechter Schreibe unterscheidet etc.. Und die Fachkolleg*innen stimmen zu, man ist sich einig auf dieser Erfahrungsebene.

Davon abgeschnitten und nur schwer erreichbar ist hingegen die physikalische Ebene. Ich wirke mit meiner Arbeit in Hirnen, die in den jeweiligen Menschen subjektive Empfindungen verursachen. Licht trifft auf deren Retina, das visuelle System erkennt Buchstaben, denen Bedeutung verliehen wird, die abstrahiert und Konzepten zugeordnet und in einen individuellen Kontext gebracht wird – und nebenbei entsteht auch immer ein Gefühl. Wer down this rabbit hole gehen möchte, dem sei „Das lesende Gehirn“ von Maryanne Wolf empfohlen. Es gibt zahlreiche weitere neurophysiologische Bücher, die unser Denken, Fühlen und Handeln immer besser erklären. Beim Lesen denke ich oft: Hab ich‘s doch gewusst! Die Experimente bestätigen das intuitive Gefühl und die Erfahrung, die mich beim professionellen Kommunizieren leitet.

Ein Beispiel: Ich empfehle mit Blick auf Formate und Inhalte „Neuen Wein in alten Schläuchen“. Ein neurologischer Grund dafür findet sich in dem Buch „How attention works – Finding your way in world full of distraction“ von Stefan van der Stigchel. Natürlich lässt sich die so heiß umkämpfte Aufmerksamkeit recht einfach auf sich ziehen, indem man drastische Inhalte zeigt oder beschreibt. Allerdings geht es Unternehmen und Organisationen ja auch um die Wirkung, und die soll schließlich positiv sein. Doch zurück zum neuen Wein. Experimental-Psychologe Stigchel schreibt:

„Our attention system is constantly on the lookout for new information. It uses a mechanism that keeps track of those spots where our attention has already been focused but where no information of any importance was on offer. In other words, attention is a swift and impatient thing.”

– Experimental-Psychologe Stigchel

Die alten Schläuche sind Strukturen und Muster, die das Hirn kennt und leicht verarbeiten kann, in denen es sich zurechtfindet. Beispiel Disney-Filme: Irgendwie immer der gleiche Schlauch der Campbellschen Heldenreise, durch den ständig neuer Story-Wein fließt.

These: Gehirne sind Relevanz-Seeker. Wobei sich von Mensch zu Mensch unterscheidet, was als relevant wahrgenommen wird. Sobald der Input uninteressant wird, sucht sich das Hirn andere Gedanken. Ich merke das zum Beispiel, wenn ich Kinderbücher vorlese und mich danach wundere, dass ich mich kaum an die Geschichte erinnere. Mein Bewusstsein ist heimlich abgedriftet und hat über die Struktur der Präsentation nachgedacht, die ich morgen halten muss.

Aufmerksamkeit lässt sich gut mit dem Spotlight im Theater vergleichen. Mit dem Unterschied, dass wir unsere Aufmerksamkeit bis zu einem gewissen Maße selbst steuern können. „In anderen Fällen sind wir die Opfer unserer eigenen Reflexe, und unsere Aufmerksamkeit wird automatisch von unwiderstehlicher Information aus der Außenwelt angezogen“, schreibt Stigchel in seinem Fazit.

Die faszinierende Frage ist demnach: Was macht eine Information unwiderstehlich? Die Antwort hängt vom jeweiligen Hirn und dessen Zustand ab, und man kann sich ihr nur nähern. Aber gerade das ist es, weshalb ich die Arbeit in einer Marken- und Kommunikationsberatung so spannend finde. Erfahrung, Erfolge und Misserfolge sowie Fachwissen führen zu Strategien und Konzepten, die dem Gipfel des Optimums oft sehr nahekommen – im Sinne der Ziele, die mit der jeweiligen Kommunikation in den Köpfen der Menschen erreicht werden soll.

Mein Ziel mit diesem Text: Neue (unwiderstehliche?!) Zusammenhänge zu formulieren, die zum Weiterdenken anregen. Eine Nebenwirkung dabei: Ich empfand das, was Sandra Miriam Schneider in ihrem Buch „Achtsames Schreiben“ als Schreibglück beschreibt. Vielen Dank dafür. Und für Ihre Aufmerksamkeit.

Fotos: pixabay.com (linzenzfrei)